China als neuer Lebensabschnitt
Es war deshalb ein glücklicher Zufall, dass sich für mich ein neuer Lebensabschnitt auftat, in dessen Mittelpunkt China rückte. Bereits während meiner Schulzeit hatte ich ein hohes Interesse für Ostasien entwickelt. Aber die Volksrepublik China war zu einem abgeschotteten Land geworden. Zwar gab es schon 1972 ein Treffen zwischen Mao Zedong und dem amerikanischen Präsidenten Nixon in Beijing. Aber erst die Öffnungspolitik Deng Xiaopings in der Nachfolge der Kulturrevolution, dem Tod Mao Zedongs und dem Ende der Herrschaft der Vierer-Bande machten nach 1979 intensivere Kontakte zwischen China und der westlichen Welt wieder möglich.
Während in der DDR bereits seit längerer Zeit Wissenschaftler aus China studierten und das Herder-Institut in Leipzig den Deutschunterricht für Chinesen organisierte, war es in der Bundesrepublik Deutschland die in Berlin (West) ansässige TU, die frühzeitig zur Förderung der deutschen Sprachkenntnisse als technologieorientiertes Deutsch für künftige chinesische Studenten in der Bundesrepublik Deutschland Kooperationen mit wichtigen Universitäten Chinas aufbaute. Bereits 1981wurde das ZTZ für die Zusammenarbeit mit China gegründet. 1983 entstanden Kooperationsabkommen mit dem BIT (Beijing Institute of Technology), der Zheda (Natur- und Ingenieurwissenschaftliche Universität der Provinz Zhejiang), der Nungda (Landwirtschaftliche Universität der Provinz Zhejiang) und der Tongji Universität in Shanghai, wo ein „Deutsches Sprachzentrum“ in der Fremdsprachenabteilung dieser Universitäten entstand. Die TU hatte an die Sprachzentren in Beijing, Shanghai und Hangzhou neben dem chinesischen Lehrpersonal langfristig Muttersprachler als Fachpersonal für DaF (Deutsch als Fremdsprache) sowie Kurzzeitdozenten für den normalen Sprachunterricht entsandt. Ab 1984 wurden chinesische DaF-Lehrer der Partneruniversitäten mit dem Ziel der Qualifizierung zu mehrmonatigen Weiterbildungsaufenthalten an die TU eingeladen.
Nach einer Kurzzeitdozentur des TU-DaF-Professors in Hangzhou lernte ich mit ihm im Oktober 1987 auf einer Bahnfahrt erstmals einige der kulturellen Höhepunkte Chinas kennen: „Kreuzfahrt auf Schienen – Der Sonderzug Peking Orientel Express“ war eine gemeinsame Veranstaltung des Eisenbahnministerium Chinas und eines deutschen Reiseveranstalters für 85 Eisenbahn-Begeisterte und kulturell Interessierte aus vielen Ländern Europas. Der Schlafwagen-Sonderzug bestand aus Luxus-Schlafwagen für die Gäste, 2 Speisewagen sowie Schlaf- und Dienstwagen für 40 dienstbare Geister. Für die Eisenbahnfreunde gab es eisenbahnspezifische Angebote, während die Kulturreisenden die Glanzlichter chinesischer Kultur kennenlernen konnten: Tempel und Paläste in Beijing, Ming-Gräber und Große Mauer, Datong mit der Neun-Drachen-Mauer, die Felsengrotten von Yungang, Xian mit der Terrakotta-Armee, die große Brücke über den Yangzi-Strom und Nanjing mit der Heiligen Allee und dem Mausoleum Sun Yatsens, des Begründers der chinesischen Republik 1911. Von Wuxi aus gab es eine Schiffsfahrt auf dem Kaiserkanal nach Suzhou, von dort aus wieder mit dem Zug nach Shanghai mit seinen vielfältigen touristischen Attraktionen und Hangzhou, das später für mich so wichtig werden sollte, mit seinem Westsee, dem Linjing-Tempel und dem Buddha-Felsen. Von Guilin aus gab es eine unvergessliche Bootsfahrt auf dem Li-Fluss mit anschließender Weiterreise über Guanzhou (Kanton), wo uns die Jungen Pioniere des Eisenbahnministeriums zur Fahrt mit der normalen Eisenbahn nach Hong Kong verabschiedeten. Nach einer zweitägigen Besichtigungstour in Hong Kong fand meine erste und mich tief beeindruckende China-Reise durch den Rückflug nach Deutschland ihr Ende.
Dem intensiven wissenschaftlichen Austausch Chinas mit der Außenwelt setzte der Zwischenfall vom Juni 1989 auf dem Tiananmen ein jähes Ende. Die sich zu diesem Zeitpunkt in Deutschland befindlichen Weiterbildungsdozenten blieben alle ohne die Erlaubnis ihrer Heimatuniversitäten in Deutschland. Einige dieser hier „gestrandeten Wissenschaftler“ blieben dauerhaft in Deutschland, andere wurden viele Jahre später mit einer deutschen Promotion zu führenden Wissenschaftlern und Wissenschaftsmanagern in China.
Während nach dem Tiananmen Zwischenfall offiziell eine Eiszeit zwischen den staatlichen Wissenschaftsorganisationen beider Länder begann, wurden auf der persönlichen Ebene die Kontakte in der Hoffnung auf bessere Zeiten weiterhin gepflegt und entwickelt. Diese Zeitenwende wurde allen Beteiligten deutlich, als die TU gemeinsam mit dem DAAD 1991 und 1995 Fortbildungsseminare in Methodik und Didaktik der deutschen Sprache sowie in Landeskunde für chinesische Lehrkräfte der deutschen Sprache aus den Universitäten aus allen Landesteilen Festland-Chinas veranstaltete. In beiden Fällen war ich für die Landeskundefortbildung zuständig.
Unser Wohnhaus in Berlin hatte sich zwischenzeitlich in eine „rote Kaderschmiede“ verwandelt. Der ehemalige griechische Buchladen war zu einem Seminar für Kurse der summer schools umgebaut worden, die ein Verein von TU-DaF-Dozenten für die Partneruniversitäten organisierte. In unserer Studentenwohnung wurden Dissertationen zu DaF in China geschrieben, deren Verfasser später zu Professoren in China berufen wurden. Hierzu gehörte auch der im Jahr 2000 ans Deutsche Sprachzentrum in Hangzhou berufene neue Leiter, der sich sehr darum bemühte, für den Lehrkörper des Sprachzentrums neue Muttersprachler zu gewinnen; er war es auch gewesen, der seiner gerade aus 4 einzelnen Fach-Universitäten zu einer fusionierten Voll-Universität empfahl, den ehemaligen Vizepräsidenten der TU zum Dekan der vereinigten neuen Fremdsprachenfakultät zu berufen. Dieser wurde der erste und auch einzige ausländische Dekan einer chinesischen Fakultät und von den Studenten wie ein Pop-Star gefeiert.
Nach dem Intermezzo als Berater und Gutachter für Projektentwicklungen wurde ich zeitgleich mit dem deutschen Dekan in Hangzhou ab Herbst 2003 für 5 Jahre fester Mitarbeiter für Landeskunde und Deutsch mit selbst hergestellten Lehrmaterialien für Anfänger. Feste Kurse für Fortgeschrittene gab ich in Wirtschaftsdeutsch. Der Unterricht fand als Blockunterricht im Frühjahr nach dem chinesischen Neujahrsfest und im Herbst nach der „Goldenen Woche“ anlässlich des Gründungstags der Volksrepublik am 1. Oktober und der militärischen Einführung und Ausbildung der Erst-Semesterstudenten statt. An den schriftlichen Prüfungen war ich über das internet beteiligt und im Sommer kümmerte ich mich jeweils um meine Studenten des zweiten Studienjahres, die nach meiner Vorbereitung auf die summer school nach Berlin gekommen waren. Der chinesische Jahreslauf hatte auf mich stärkere Auswirkungen als die christlichen Feiertage in Deutschland und Griechenland. Der Frühjahrsaufenthalt war jeweils mit Eis und Schnee, der Herbstaufenthalt mit großer Hitze, Dauerregen und gefährlichen Taifunen verbunden.
Meinen chinesischen Kollegen gab ich Hilfestellung in der Qualifizierung wissenschaftlichen Arbeitens, bei der Entwicklung neuer Sprachlehrwerke und bei Test-Daf-Vorbereitungskursen. Jahrelanges Korrekturlesen einschlägiger Veröffentlichungen und meine Anwesenheit bei den vielen Fortbildungsveranstaltungen und Konferenzen der vergangenen Jahre hatten mich für diese Lehrtätigkeit fit gemacht. Berichte aus dem Frühjahrsaufenthalt 2006 und dem Herbstaufenthalt 2007 enthalten viele interessante Einzelheiten über Land und Leute sowie meine dortige Arbeit. Die Goldene Woche 2007 nutzte ich zu einem Abstecher auf die Inselwelt von Hong Kong. Mein letzter wissenschaftlicher China-Aufenthalt war im Herbst 2011 zu einer Konferenz am BIT über chinesisch-deutsche Literatur- und Kulturbeziehungen, in deren Anschluss ein Besuch bei den befreundeten Wissenschaftlern in Shanghai und Hangzhou stattfand. Hierüber liegt ein schriftlicher Bericht vor.
Zu meinem Herbstaufenthalt im Jahre 2004 war ich von Moskau aus mit der transmongolischen Eisenbahn nach Peking und von dort aus mit dem Flugzeug nach Hangzhou gekommen. Diese Eisenbahnfahrt durch die Mongolei, aus chinesischer Sicht Äußere Mongolei genannt, machte mich nachhaltig neugierig sowohl auf das Staatsgebiet der Mongolei mit seiner Hauptstadt Ulan Bataar als auch auf die auf chinesischem Staatsgebiet liegende Innere Mongolei mit ihrer Hauptstadt Urumtschi. In meiner Jugend hatte ich die Bücher „Großer Tiger und Kompassberg“ und „Null Uhr fünf in Urumtschi“ von Fritz Mühlenweg gelesen, der seine ethnologischen Kenntnisse zu spannender Unterhaltung über eine Reise zweier deutsch-chinesischer Freunde von Peking nach Urumtschi in den Wirren der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts verarbeitet hatte. Außerdem hatte ich in meiner Jugend die Bücher von Sven Hedin über den östlichen Teil der Wüste Taklamakan, das Tarim-Becken, in Sinkiang (Xinjiang) gelesen und begann, mich mit der Seidenstraße und den deutschen Turfan-Expeditionen vor dem ersten Weltkrieg zu beschäftigen.
Bevor ich allerdings die chinesischen Routen der Seidenstraße kennenlernen konnte, unternahm ich 2006 in Zentralasien eine Reise auf den Spuren der Seidenstraße mit einem Sonderzug von Almaty in Kasachstan durch Usbekistan nach Turkmenistan. Aus gesundheitlichen Gründen konnte ich damals nicht alle mir angebotenen touristischen Möglichkeiten nutzen, so dass ich diese Sonderzugreise im Jahre 2010 erneut unternahm. Im Jahre 2008 unternahm ich von Urumtschi aus eine Rundreise um das Tarim-Becken bis nach Kashgar im Westen, dann nördlich entlang des tibetischen Hochlandes und quer durch die Todeswüste bis nach Turfan und an das westliche Ende der Großen Chinesischen Mauer bis nach Xian, dem Beginn der Seidenstraße in China. Auch über diese Reise liegt ein Bericht vor. Auf dieser Reise kam ich an einem Wegweiser vorbei: „Lhasa“. Nie war ich dieser Stadt so nahegekommen, in die ich wegen des Buches „7 Jahre in Tibet“ von Heinrich Harrer gerne eine Reise unternommen hätte. Aber als es später eine Eisenbahn-Linie hinauf nach Lhasa gab, waren mir solche Reisen aus gesundheitlichen Gründen völlig unmöglich geworden.
Meine letzte Asienreise fand im Juli 2015 in die Mongolei statt, wo es nach den Nationalfeiertagen des Naadam-Festes mit Bogenschießen der Männer und Frauen, Pferderennen, Ringkämpfen und Knochenschießen per Flugzeug in die Wüste Gobi ging, von wo aus es niemals auf Straßen, immer nur auf neu zu findenden nach Norden führenden Pisten, mit einem Kleinbus durch Wüste, Steppe und Grasland bis ins bewaldete und von Seen und Flüssen durchsetzte Hochgebirge der Mongolei ging, letztlich nach Osten bis zurück nach Ulan Bataar. Die lamaistische Kultur der Äußeren Mongolei hatte die Sowjetunion während der Zeit der politischen Abhängigkeit von Moskau zerstört. Geblieben war dem Land aber eine wunderbare Natur von beeindruckender Schönheit und Überzeugungskraft (mehr hierzu).